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Lernsieg ... die umstrittene APP



Ist die Bewertungs-APP datenschutzrechtlich bedenklich?


Der Standard hat berichtet. Futurzezone ebenfalls, und auch auf orf.at gab es eine Meldung.

 

Lernsieg ist eine APP für die Bewertung von Schulen und Lehrende.

 

Ist es überhaupt zulässig, dass Schülerinnen und Schüler ihre Lehrerinnen und Lehrer und die Schule bewerten und dies veröffentlicht wird?

 

 

 

Bewertungsplattformen und Datenschutz

 

Die DSB hat sich in einem Bescheid bereits Anfang 2019 mit einer Bewertungsplattform für Ärzte auseinandergesetzt und ein Löschbegehren eines Arztes für nicht berechtigt angesehen. Wir haben im Blog darüber bereits berichtet.

 

Einerseits ging es um die Darstellung von bereits veröffentlichten Daten auf der Plattform, nämlich die Aufzählung der „betroffenen Personen“ als Reproduktion zulässigerweise veröffentlichter Daten, und andererseits auch um die Frage der Bewertung an sich.

 

Im Rahmen einer umfassenden Interessensabwägung der bewerteten Ärzte und der Plattform kommt die DSB zum Schluss, „dass aufgrund der durchgeführten Interessenabwägung keine Verletzung im Recht auf Geheimhaltung vorliegt, da die berechtigten Interessen der Portalbenutzer (also der Patienten) gegenüber den dargelegten Beeinträchtigungen der berechtigten Interessen des Beschwerdeführers überwiegen (§ 1 Abs. 2 DSG). Folglich ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ...“ (Auszug aus dem Bescheid „Bewertungsportal Ärzte“)

 

 

 

Anwendung auf die APP „Lernsieg“

 

Beschreibung der APP

 

Schüler sollen mit der App eine Stimme bekommen, so der 17-Jährige.“ (Der Standard, Online-Ausgabe, 16.11.2019)

 

 

 

Eine Bewertung von Lehrerinnen und Lehrern ist nur in vorgegebenen Kategorien, nämlich:

 

·      Unterricht: Findest du den Unterricht von ... interessant und lehrreich?

 

·      Fairness: Fühlst du dich von ... gerecht behandelt und fair benotet?

 

·      Respekt: Behandelt dich ... respektvoll und wertschätzend?

 

·      Motivationsfähigkeit: Motiviert dich ...?

 

·      Geduld: Ist ... geduldig mit dir und der Klasse?

 

·      Vorbereitung: Ist ... gut auf die Stunde vorbereitet?

 

·      Durchsetzungsfähigkeit: Nimmt deine Klasse ... ernst?

 

·      Pünktlichkeit: Ist ... pünktlich?

 

 

 

Die Bewertung ist immer im Rahmen einer Bewertungsskala von einem bis fünf Sternen, und es wird ein Durchschnitt aus den Bewertungen errechnet, und bei der jeweiligen Kategorie dargestellt.

 

 

 

Der Betreiber der APP beschreibt seine Verarbeitung unter Punkt 2.c der Datenschutzinformation wie folgt:

 

 

 

Zum Zwecke der Wahrnehmung unseres berechtigten Interesses verarbeiten wir Name, Titel, Anrede sowie Fachrichtungen und Bewertungen von Lehrern, die an österreichischen/deutschen Schulen unterrichten und in unserer APP aufgelistet sind.

 

 

 

Die Bewertungen der Nutzer werden in der APP zusammenfassend als Durchschnitt dargestellt.

 

 

 

[...]

 

 

 

Die Daten stammen aus öffentlichen Quellen (Liste der Lehrer auf der Homepage der jeweiligen Schule) sowie aus den Angaben der für die APP registrierten Schüler.

 

 

 

Die Verarbeitung der öffentlich zugänglichen Daten aus öffentlichen Quellen und die Verwendung in der APP ist mE im berechtigten Interesse des Betreibers der APP zulässig, und unproblematisch, obwohl auch für die Verarbeitung von veröffentlichten Daten für einen neuen Zweck eine eigene Rechtsgrundlage notwendig ist. Dies hat die DSB bereits in mehreren Entscheidungen (zB auch bei der Verwendung von öffentlich zugänglichen Grundbuchsdaten für Marketingzwecke) ausgesprochen.

 

 

 

Bei der Verarbeitung der Bewertungsdaten und die Veröffentlichtung eines „Score“ als Durchschnittswert in Bezug auf die betroffenen Personen ist die Rechtslage mE nicht so eindeutig, auch wenn der APP-Betreiber von einem Rechtsanwalt beraten wurde (siehe orf.at)

 

Rechtsgrundlage für die Verarbeitung

 

Der APP-Betreiber kann sich bei der Verarbeitung der Bewertungsdaten ausschließlich auf das berechtigte Interesse iSd Art 6 Abs 1 lit f DSGVO als Rechtsgrundlage stützen.

 

 

 

Wenn seine oder die Interessen Dritter zumindest gleichwertig mit den Interessen der bewerteten Lehrerinnen und Lehrer ist, dann ist die Verarbeitung der personenbezogenen Daten mit der Bewertung zulässig.

 

 

 

Es ist daher ein „Interessensabwägung“ vorzunehmen:

 

 

 

Es sind die Interessen des Verantwortlichen (Betreibers der APP) und der Nutzer der APP, die die Bewertungen der Lehrerinnen und Lehrer für ihre Zweck verwenden wollen, mit den Interessen der bewerteten Lehrerinnen und Lehrer und den daraus ableitbaren Folgen für diese, die ein Recht auf Geheimhaltung gem. § 1 Abs 1 DSG in Anspruch nehmen können, gegeneinander abzuwägen.

 

 

 

Etwaige Schutzmaßnahmen die der APP-Betreiber zur Verhinderung bzw. Abmilderung unangemessener Folgen für die bewerteten Personen zu berücksichtigen. Schutzmaßnahmen sind für mich bei der APP bzw. der Bewertung der Lehrpersonen vorab nicht erkennbar. In der APP gibt es keine Kommentarfunktion, die für direkt Postings verwendet werden könnten.

 

 

 

Art 6 Abs 1 lit f DSGVO normiert zwei kumulative Voraussetzungen, damit der Betreiber der APP sich auf diesen Erlaubnistatbestand stützen kann.

 

 

 

1.  Erforderlichkeit zur Wahrung der Interessen des APP-Betreibers oder von Dritten.

 

2.  Berücksichtigung der Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, wobei diese nicht überwiegen dürfen.

 

 

 

Interessen des APP-Betreibers oder Dritter:

 

Das Interesse des APP-Betreibers, der auch eine Website unter der Domain www.lernsieg.at betreibt, ist mit großer Wahrscheinlichkeit in wirtschaftliches Interesse, seine Plattform mit der APP bekannter zu machen, und mit der APP „Geld zu verdienen“. Dieses Interesse ist mE legitim. Dieses Interesse beschreibt der Betreiber jedoch in seiner Datenschutzerklärung nicht, obwohl er zur Angabe des konkreten berechtigten Interesses verpflichtet wäre.

 

Ein derartiger Umstand schadet nicht, zumal ein gewisser kommerzieller Erfolg sogar die unverzichtbare Voraussetzung für den Fortbestand solcher Such- und Bewertungsplattformen sein kann (vgl. das Urteil des EuGH vom 16. Dezember 2008, C-73/07 [Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia] Rz. 59).

 

 

 

Der Betreiber der APP kann auch Interessen von Dritten an der Veröffentlichtung der Bewertungen ins Treffen führen. In diesem Bereich wird mE der „Knackpunkt“ liegen, denn bei der Bewertungsplattform für Ärzte hat die DSB zwar entschieden, dass die Öffentlichkeit ein Interesse an der Bewertung haben kann, aber auch gleichzeitig die Wahlfreiheit der Patienten und Patientinnen betont, die sich im Rahmen der Auswahl ihres Arztes auch auf derartige Bewertungen (nach einem Artzbesuch) stützen könnten.

 

 

 

Bei Lehrerinnen und Lehrern fällt dieses Argument mE weg, da sich die Schüler bzw. deren Eltern zwar entscheiden können, welche Schule sie (oder die Kinder) besuchen sollen, aber keine Wahlfreiheit besteht, welche Lehrerin oder Lehrer die konkreten Schüler unterrichten sollen. In diesem Punkt besteht daher keine derartige Wahlfreiheit. Gerade diese mangende Wahlfreiheit kann mE dazu führen, dass die Interessen der interessierten Öffentlichkeit nicht so hoch zu bewerten sind, wie im Fall des Ärztebewertungsportals.

 

 

 

Die Interessen der „Öffentlichkeit“ an der Bewertung der Lehrerinnen und Lehrer an bestimmten Schulen sind verständlich. Eltern könnten die APP nutzen, um sich Bewertungen bei Schulübertritten oder –wechseln anzusehen und zu berücksichtigen. Auch für die Schüler selbst ist es uU informativ zu wissen, wie die LehrerInnen des aktuellen Schuljahres im letzten Schuljahr abgeschnitten haben. Sie können sich aber nicht frei für besonders positiv bewertete oder gegen besonders negativ bewertete Lehrerinnen und Lehrer entscheiden, weil ihnen eine derartige Auswahlmöglichkeit nicht gegeben wird. Eine Lehrerin oder einen Lehrer können sich weder die Schüler noch deren Eltern aussuchen.

 

 

 

Auch der dt. BGH hielt eine Ärztebewertungsplattform (VI ZR 358/13) für zulässig, obwohl dieser auch die soziale und berufliche Auswirkungen auf einen Arzt haben kann. Der BGH entschied dennoch, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und potentieller Patienten zumindest gleichwertig ist.

 

Die DSB nahm auch dazu Stellung, dass es „Negativbewertungen“ aus anderen Motivation geben kann, als tatsächlich ein Verhalten der zu bewertenden Person zu bewerten, zB Rache, Unzufriedenheit etc... Dies kann zu einem Mißbrauch führen.

 

Relevant für die DSB ist auch, dass sich die Bewertung auf eine berufliche Tätigkeit bezieht, also einen Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Außenwelt vollzieht. Betroffene Personen von Bewertungsplattformen im beruflichen Umfeld müssen sich daher auf eine Beobachtung durch die handelnden Personen sowie die Öffentlichkeit sowie Kritik an ihren Leistungen und Handlungen einstellen. Die DSB verweist hier auch auf die sog. „Sozialsphäre“ und auf eine geringere Schutzwürdigkeit dieser gegenüber der „Intim- oder Geheimsphäre“

 

 

 

Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit (Art 11 GRC, Art. 10 EMRK) sind zu beachten, da dies auch den Empfang und die Weitergabe von Nachrichten bzw. Ideen schützt. Auch derarige Bewertungen wie in der APP sind davon umfasst.

 

 

 

 

 

Die Interessen der bewerteten Personen

 

Es liegt im Interesse der bewerteten Personen, dass ihr Verhalten in Zusammenhang mit der Berufsausübung zwar den Personen, mit denen sie direkt in Kontakt stehen (SchülerInnen, Eltern) zur Kenntnis gelangt, aber nicht einer breiten Öffentlichkeit, die keinen Bezug zum beruflichen Verhalten, bekannt wird.

 

 

 

Sowohl die Leistungen der Schüler und Schülerinnen als auch deren Verhalten werden in der Schule von den Lehrerinnen und Lehrern bewertet, und das ist systemimmanent. Aus dieser besonderen Konstellation ergibt sich mE eine besondere Gefährlichkeit, wenn die grundsätzliche Situation durch die APP umgekehrt wird, und Schülerinnen und Schüler, die aufgrund mangelhafter Leistungen „schlecht“ bewertet wurden, noch unter dem Eindruck dieser Leistungsbewertung den/die Bewerter/in schlecht bewerten.

 

 

 

Technische Schutzmaßnahmen könnten diese potentiellen Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen abmildern, wobei diese mE derzeit aus der APP nicht ersichtlich sind.

 

 

 

Aus der derzeitigen Version ist mE auch nicht ersichtlich, wie die betroffenen Personen gegen etwaige ungerechtfertige Negativbewertungen vorgehen könnten. Eine Registrierung erfolgt nur per SMS, sodass eine Verifikation bzw. Festsellung der Identität für den Betreiber nur mit großem Aufwand (über den Dienstebetreiber) möglich wäre. Ein/e Lehrer/in, der/die negativ bewertet wurde, kann sich daher nicht mit einfachen Mitteln gegen eine ungerechtfertigte Bewertung zur Wehr setzen.

 

 

 

Abwägung

 

 

 

Es ist mE fraglich, ob die Interessen der interessierten „Öffentlichkeit“ und des APP-Betreibers, die Geheimhaltungsinteressen der Lehrerinen und Lehrer zu sehr beeinträchtigen oder nicht.

 

Ich bin der Meinung, dass der APP-Betreiber noch einige Teilbereiche seiner APP verbessern muss, damit die gegebene Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen (zB Löschung unrichtiger Bewertungen) abgemildert wird.

 

 

 

Auch ist nicht sichergestellt, dass nur Schülerinnen und Schüler, die die betroffenen Personen tatsächlich selbst im Unterreicht erlebt haben, bewerten, sondern kann jede Person, die sich über eine SMS-Verifikation identifiziert, eine Bewertung zu jeder Schule und jedem Lehrer und jeder Lehrerin abgeben.

 

Die APP müsste mE zumindest um durch eine Auswahlmöglicheit: ich bin selbst Schüler/Schülerin dieses Lehrers / dieser Lehrerin sowie eine besondere Berücksichtigung derartiger Bewertungen im Bewertungsalgorithmus ergänzt werden.

 

 

 

Die fehlende Wahlfreiheit in der Auswahl der Lehrerinnen und Lehrer führt mE dazu, dass der APP-Betreiber sich an die Vorgaben, die die DSB in der Entscheidung zur Ärztebewertungsportal vorgegeben hat, halten muss, und noch weitere technische und organisatorische Maßnahmen einbauen muss, um die Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Personen zu reduzieren.

 

 

 

Diese Bewertung stellt nur meine Meinung dar; eine tatsächliche Aussage dazu wird wohl nur die zuständige Behörde fällen können, aber es gibt gute Argumente dafür, dass die APP in der derzeitigen Variante die Interessen und Grundfreiheiten der Lehrerinnen und Lehrer zu sehr beeinträchtigt.

 

 

16.11.2019, Autoren:

 

Michael Schweiger, zert DSBA & Dr. Thomas Schweiger, LLM, CIPP/E, zert DSBA


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Kommentare: 3
  • #1

    Achim Hubert (Sonntag, 17 November 2019 09:01)

    Vielen Dank für diese gute Ausarbeitung. Ich möchte noch ergänzen, dass mE eine Information nach Art. 14 DSGVO durch den App-Betreiber an die Betroffenen, d.h. die Lehrer nötig ist.

  • #2

    Thomas Schweiger (Sonntag, 17 November 2019 13:09)

    Danke für diese zutreffende Anmerkung. Man kann sogar überlegen, ob der Betreiber verpflichtet wäre, die LehrerInnen proaktiv zu informieren. Siehe auch: https://www.dataprotect.at/2019/03/31/polen-Geldstrafe-wegen-fehlender-informationserteilung-an-betroffene-personen/

  • #3

    Achim Maier (Sonntag, 17 November 2019 18:30)

    Personen ohne Schulbezug sollten meines Erachtens nicht die Möglichkeit haben, Lehrer zu bewerten. Wie soll jemand ohne Schulbezug diesen Lehrer bewerten können? Das öffentliche Interesse an einer Lehrerbewertung kann also kein Argument für diese App sein. Vielmehr besteht wenn überhaupt, nur ein Interesse eines eingeschränkten Personenkreises an dieser App, nämlich der Schüler und eventuell deren Erziehungsberechtigten. Auch sehe ich es kritisch, dass nicht öffentlich verfügbare Informationen, einfach über ein Formular hinzugefügt werden können(Lehrer die nicht erfasst wurden). Auf welcher Rechtsgrundlage begründet der App Ersteller diese Datenerfassung? Ein rein wirtschaftliches Interesse alleine ist sicherlich nicht ausreichend, so eine App, in der derzeitigen Form ,zu veröffentlichen.