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Spammail € 25 Schadenersatz


4 S 1/21 vom 16.03.2022

Urteil | LG Heidelberg | 4. Zivilkammer

 Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 07.01.2021, Az. 24 C 119/19, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.09.2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

(Revision zugelassen)

Urteilsantrag in 1. Instanz dazu:
1c) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Urteil 1. Instanz:
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Mit Urteil vom 07.01.2021, auf dessen Tatbestand, soweit er keine abweichenden Feststellungen enthält, Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht Heidelberg der [ …] die Klage im Übrigen, hinsichtlich des beantragten Schmerzensgeldes abgewiesen

Ein Schmerzensgeldanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO bestehe nicht, da der Kläger durch den Erhalt der beiden Werbemails keinen spürbaren Nachteil und keine objektiv nachvollziehbare, mit gewissem Gewicht erfolgte Beeinträchtigung von persönlichkeitsbezogenen Belangen erlitten habe.

2. Instanz
Der Kläger und Berufungskläger behauptet, durch die Zusendung der Werbemails und unberechtigten Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten liege eine massive Verletzung seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor. Ihm sei ein ersatzfähiger immaterieller Schaden durch Einschränkung seiner informationellen Selbstbestimmung entstanden. 

Die Beeinträchtigung sei auch spürbar gewesen, da er Arbeitszeit habe aufwenden müssen, um die E-Mail zu prüfen und auszusondern. Bereits die Einordnung des Adressaten und das Einrichten von Spamfiltern bedeute einigen Zeitaufwand

Zudem habe er nach A rt. 15 DSGVO Auskunft begehren müssen und hierzu ein Schreiben aufsetzen und dieses zustellen müssen. 

Zudem sei er durch die verspätet erteilte Auskunft der Beklagten monatelang im Ungewissen gewesen, ob und wie seine personenbezogenen Daten verarbeitet wurden, was zu einem durchaus belastenden Kontrollverlust geführt habe. 

Eine Bagatellgrenze enthalte die DSGVO nicht. Ihm stehe daher ein angemessenes Schmerzensgeld zu.


Das Berufungsurteil in Beurteilung des VorbringensSchmerzengeld“:

Die Kammer legt den Antrag des Klägers dahingehend aus, dass dieser Schadensersatz für die aufgrund des DSGVO-Verstoßes der Beklagten erlittenen Beeinträchtigungen begehrt, unabhängig von dem vom Kläger verwendeten Begriff des „Schmerzensgeldes“ aus dem deutschen Zivilrecht.

Danach legt die Kammer den Antrag des Klägers vor dem Hintergrund seiner Berufungsbegründung und seines Interesses an einer Entschädigung nach Art. 82 DSGVO dahingehend aus, dass dieser die Zahlung von Schadensersatz von der Beklagten begehrt. 

Zwar ist der unbezifferte Antrag des Klägers auf die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gerichtet, jedoch stützt der Kläger seinen Anspruch auf Art. 82 DSGVO, eine Norm des europäischen Rechts. 

Maßgeblich sind damit nicht die deutschen Begrifflichkeiten, sondern die des europäischen Rechts bzw. die der DSGVO. 

Der Begriff „Schmerzensgeld“ findet jedoch in Art. 82 DSGVO und auch den übrigen Normen der DSGVO keine Verwendung. 

Art. 82 Abs. 1 DSGVO normiert lediglich einen „Anspruch auf Schadenersatz“ für jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO „ein materieller oder immaterieller Schaden“ entstanden ist. 

Der Antrag Ziff. 1c) des Klägers ist daher nach Überzeugung der Kammer im Lichte dieses auf die DSGVO gestützten Anspruchsbegehrens des Klägers auszulegen und dahin zu verstehen, dass er die Zahlung von Schadensersatz begehrt.

Ob der Kläger den begehrten Schadensersatz dabei nach seinem Vortrag allein auf einen „materiellen“ oder „immateriellen“ Schaden stützt, ist unerheblich. Soweit der Kläger seine Schäden als „immaterielle“ Schäden bezeichnet, bindet dies die Kammer auch nicht an die Prüfung ausschließlich immaterieller Schäden. 

Zugunsten des Klägers sind vielmehr auch mögliche materielle Schäden, die sich aus dem Vorbringen des Klägers ergeben können, zu prüfen, da Art. 82 Abs. 1 DSGVO nach Überzeugung der Kammer ein einheitlicher, weit auszulegender Schadensbegriff zugrunde liegt. Dies hat die Kammer durch Auslegung ermittelt.

Nach dem Wortlaut von Art. 82 DSGVO hat einen „Anspruch auf Schadenersatz“ jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung „ein materieller oder immaterieller Schaden“ entstanden ist. 

Die DSGVO kennt − anders als das deutsche Recht etwa mit § 253 BGB − insoweit keine unterschiedlichen Normen bzw. Anspruchsgrundlagen, sondern enthält in Art. 82 Abs. 1 DSGVO eine einheitliche Anspruchsgrundlage für einen einheitlichen Schadensersatzanspruch.

Ein weites Verständnis des Schadensbegriffs legen auch die Erwägungsgründe zur DSGVO nahe. Maßgeblich ist insoweit zunächst der Erwägungsgrund 146, der sich auf den Schadensersatzanspruch in Art. 82 DSGVO bezieht. Begrifflich differenziert dieser Erwägungsgrund nicht zwischen materiellen und immateriellen Schäden. Vielmehr wird hier ausschließlich der Begriff „Schaden“ verwendet, ohne dass dieser so zu verstehen sein dürfte, dass nur materielle oder nur immaterielle Schäden gemeint sind. Eine weite Auslegung des Schadensbegriffs wird auch nach S. 3 des Erwägungsgrundes gefordert, wonach der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs „weit“ ausgelegt werden soll.

Für einen einheitlich zu verstehenden Schadensbegriff spricht auch Erwägungsgrund 75 zur DSGVO, in dem Beispiele genannt sind für mögliche „physische, materielle oder immaterielle Schäden“, die aus einer Verarbeitung personenbezogener Daten hervorgehen können, wie zum Beispiel Diskriminierung, Identitätsdiebstahl oder -betrug, finanzieller Verlust, Rufschädigung oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile. Die Aufzählung differenziert ebenfalls nicht zwischen verschiedenen Schadensarten, sondern enthält vielmehr sowohl mögliche materielle, als auch immaterielle Beeinträchtigungen.

Nach Auslegung des Begehrens des Klägers im Lichte eines einheitlichen, weit zu verstehenden Schadensersatzanspruchs nach der DSGVO, steht dem Kläger nach Überzeugung der Kammer ein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO in Höhe von 25,00 € zu.

Dem Kläger ist dadurch ein Schaden entstanden, dass er sich mit den unerwünschten Werbemails der Beklagten auseinandersetzen, deren Herkunft ermitteln, sich um eine Auskunft von der Beklagten mittels eines Schreibens bemühen und die unerwünschten E-Mails löschen musste. 

Eine den Kläger beeinträchtigende Außenwirkung des Verstoßes im Sinne einer Gefahr einer Schädigung des Ansehens oder Berufs oder einer diskriminierenden Wirkung gegenüber Dritten ist nicht ersichtlich.

Zur Entschädigung der erlittenen Beeinträchtigungen erachtet die Kammer die Zahlung von 25 €, ähnlich der in Verkehrsunfällen für die Umstände und Aufwendungen im Zusammenhang mit der Schadensabwicklung üblichen Auslagenpauschale, für angemessen.

Ein weiterer Schaden - unabhängig davon, ob materiell oder immateriell - ist dem Kläger nach Überzeugung der Kammer nicht entstanden, sodass ein weitergehender Anspruch nicht besteht.